Erwartet man von Helmut Lander typische Bildhauerzeichnungen, dann wird man schnell eines Besseren belehrt. Es gibt selten Skizzen oder zeichnerische Entwürfe zu Skulpturen im Sinne eines grafischen Festhaltens bildhauerischer Ideen oder der Klärung von Formdetails. Lander zeichnet nicht das, was er danach in die plastische Dimension überträgt. Henry Moores Aussage zur Zeichnung, die sie in erster Linie als Mittel zum Zweck erkennen lässt, wäre ihm fremd gewesen - Meine Zeichnungen dienen mir hauptsächlich dazu, Skulpturen zu machen, als ein Mittel, Ideen für Plastiken hervorzubringen und sich selbst nach der Grundidee abzutasten; als ein Weg, Ideen auszustoßen und zu entwickeln, Henry Moore, Schriften und Skulpturen. Hg. Werner Hofmann, Frankfurt/M. 1959, S.47.
Der unermüdlich Reisende, derHelmut Lander einst war, hat, wie er selbst formulierte, in Europa, Afrika, Nepal oder Mexiko „manisch“ Gesichter gesammelt. Der Katalysator dieser Ausdrucksstudien von Menschen waren nicht nur Reisen, sondern auch Besuche in psychiatrischen Kliniken.
Die eindrucksvollen Porträts, schuf er indes stets aus der Erinnerung und nicht in der Spontaneität des Augenblicks. Das visuelle Treibgut der wahrgenommenen Motive wird also erst retrospektiv gefiltert, auf Wesentliches, Typisches, Eigentümliches oder Befremdliches hin untersucht und mit der ihm eigenen Sensibilität in ein expressives Bild verwandelt.
Mit klarer, sicherer Linie setzt er die Konturen, punktgenau und ohne Zögern. Die Plastizität dieser in unterschiedlichen Ansichten Porträtierten, die mal als ganze oder halbe Figuren, mal als Kopfporträt erscheinen, wird vor allem durch die unzähligen Hell- und Dunkelnuancen des Bleistiftauftrages bestimmt, weich verriebene Grafitschattierungen versus hart konturierender Mine. Eingespannt sind viele dieser Gesichter (wie auch ein Selbstporträt) in fluchtende Linien, die enge Raumgrenzen und zuspitzende Ecken markieren.
Umsonst wartet man auf die Bilder freundlich zugewandter Einheimischer, auf strahlende Kindergesichter oder weise lächelnde Altengesichter. Helmut Lander sucht immer die Tiefe, Kraft und Intensität des Ausdrucks, er durchforstet die Gesichter von Arbeitenden, Bettlern, von Eingeschlossenen und Kranken bis zu dem Augenblick, wo sie ganz bei sich sind. In diesen Momenten der inneren Konzentration, weitab von Pose und Willen kann man den Menschen und seine Gefühle entdecken, ob psychisch krank, physisch lädiert oder gesund an der Peripherie Gestrandeter. Lander nimmt ihre Ängste und Einsamkeit, ihre Skepsis oder ihren Argwohn wahr, ihre Anspannung und Entspannung, ihren Stolz und ihre Verletzlichkeit. Sein Blick auf diese Menschen ist weder wertend noch anklagend, er blättert uns ein Buch auf, dessen Lektüre uns zum Nachdenken bringt, das uns verändert, jeden auf eine andere Weise.
Lander erweist sich in diesen zarten Zeichnungen als einfühlsamer Beobachter, der den Menschen nie entblößt und die zugestandene Nähe nie missbraucht. Selbstkritisch fragt er sich in einem Text über seine Zeichnungen, ob dieses „nahezu manische Sammeln von Gesichtern (..) der Fundus an Psychonomien und Ausdrucksmöglichkeiten nicht doch für mich die Vorbereitung, um zum Kopf zu finden und aus der Fülle der Gesichter ein eigenes Gesicht zu schaffen?“ Nachdem er zuvor die Zeichnung als „in sich abgeschlossenes Ganzes mit eigener Gesetzmäßigkeit“ beschrieben hatte, reflektiert er später, den Wert dieser Köpfestudien für die plastische Durchdringung, „das Aufteilen, Zerlegen und die maschinenhafte Konstruktion“ derselben.
Auch späte erotische Frauenakte aus den 90er Jahren, die bisweilen an Rodins Aktzeichnungen erinnern, vermitteln den Eindruck des Ganz-für-sich -Seins, als lägen, säßen, räkelten sich die Frauen, ohne dessen gewahr zu werden. Mit wenigen Strichen umfährt Lander die weiblichen Körper, ganz auf deren Positionierung im Raum konzentriert. Fast scheu entblättert uns Lander mannigfaltige Körperansichten nackter Frauen. Dabei wirkt die Opulenz mancher Leiber nie pathetisch, die Torsion scheint stets mit der Körperspannung in Einklang zu sein.