Eisenskulptur "Atommüll" (1977 - 1983)

Ahnungsvoll in die Zukunft gefühlt und Position bezo­gen, das trifft für nicht wenige Arbeiten von Helmut Lan­der zu, wenngleich es nicht immer so offensichtlich ist wie bei der Arbeit "Atommüll" (1976-1983). Welch nie­derschmetternde Aktualität haben diese am Boden lie­genden Köpfe mit dem Titel „Atommüll“ schon kurz nach ihrer Entstehung durch die atomaren Katastro­phen in Tschernobyl im Jahr 1986 erlebt und heute im Jahr 2011 durch Fukushima. Auf einer Eisenplatte lie­gen 13 Köpfe in realer Größe, die alle mehr oder min­der große Deformationen aufweisen: Risse spalten Schä­­del, unsichtbare Kräfte verzerren Münder, Nasen oder Augen, manche Gesichtspartien scheinen in Auf­lö­sung begriffen zu sein, andere haben wuchernde Aus­stülpungen. Lander hat hier die Zerstörungswut der ato­maren Strahlung den Betroffenen förmlich ins Ge­sicht gezeichnet, hat ihre Schädel zu unförmigen Ma­terial­klumpen werden lassen. Im Griechischen heißt atomos das Individuum, das nicht mehr Teilbare - in Landers "Atommüll" haben wir mutierte und gespal­tene Individuen, ihre Bedeutung des nicht Teilbaren wur­de ad absurdum geführt, der Mensch zu Müll degra­diert.



Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts schuf Helmut Lander unzählige Variationen an Köpfen: geteilte, sich durchdringende, gestaffelte und ineinander verschieb­bare, Köpfe in Blöcken und mit Helmen. Um den Auf­bau des Kopfes transparent und die potentielle Verän­der­barkeit seines Aufbaus einsehbar zu machen, kre­iert er viele unterschiedliche Gestaltungen. Indem Lan­der den Kopf in Kompartimente mit den unterschied­lich­en Sinnesorganen zerlegt und diese wie konstruk­tive Elemente ineinander greifen lässt, betont er das syn­ergetische Miteinander unserer Sinne. Ohren, Au­gen, Mund und Nase sind reduziert auf geometrisch sti­lisierte Züge. Sie werden durch ihre Größe betont, so­dass die Aufmerksamkeit des Betrachters auch auf die Einzelfunktion des jeweiligen Organs gelenkt wird. Das Prinzip der Staffelung und des tektonischen Bauens las­sen die Skulpturen wandelbar und beweglich werden.



variable Kleinplastiken Eisen / Bronze

Manche Köpfe hat Lander so konzipiert, dass der Be­trach­ter tatsächlich zum Akteur werden kann und die Kopf­teile zerlegen, staffeln oder anders anordnen kann. Die Bedeutung dieser Haltung, die Aktivität des Rezi­pien­ten als integralen Bestandteil der plastischen Kon­zeption wahrzunehmen, ist ein skulpturgeschichtlich inte­res­santes Statement, da es die Einmaligkeit und Un­verrückbarkeit des Kunstwerkes anprangert.

 

"Durch Aufteilen, Zerlegen und die maschinenhaften Konstruktionen, die die Köpfe sich durchdringen und sich bewegen lassen, wird über das schöpferische Spiel vom eigenen Schaffensprozeß etwas weiter­ge­ge­ben an den Betrachter. Die Aufforderung zum Mit­mach­en ist zugleich die Aufforderung zum Nachempfinden des Gestaltens. Der Bildhauer löst aus dem Metallblock die Form, differenziert sie, rundet, schleift, lässt inein­an­dergreifen, formt jedes einzelne Stück durch, fügt es zum Ganzen und legt den Gestaltungsprozeß offen dar: nach­vollziehbar. Gibt zugleich Anreiz zu eigenen Ent­deckungen, Neuerfindungen, zum Unernst-Ernst, zum Be­tasten-Erfühlen, zum Erleben der Bewegung, zur Freu­de an der Präzision und den überraschenden Ausdruckswerten, die sich plötzlich im Spiel ergeben." (Zitat Helmut Lander)

 

Die Menschenbilder einer autonomen Plastik öffnen sich und nähern sich den Kunstformen einer - Kunst und Leben verbindenden - neuen Plastik an, die unter dem Logos „Kunst als Handlungsform“ (Kunstforum Bd. 34, 4/79) firmierte und so unterschiedliche Kunst­rich­tung­en wie Land-Art, Kinetik Performance oder Bo­den­plastik umfasst. Dem müsste in einer wissen­schaft­lich­en Arbeit nachgegangen werden.